Bitte wieder mehr Sein als Schein!

Klingt das jetzt sehr alt, wenn ich sage, dass die Zeit um die Jahrtausendwende tatsächlich auch die Hochzeit meiner eigenen Feierei war? Fühlt sich rückblickend betrachtet an wie eine halbe Ewigkeit und gleichzeitig wie ein kleiner verborgener Schatz, den ich und alle meine Zeitzeugen immer noch in uns tragen. Denn wie schön das damals doch war, als es noch kein Instagram, TikTok, Youtube und Co. gab und wir das, was wir erlebt haben einfach in uns selbst, in unserem Herzen abspeichern mussten. Teilen konnten wir all' diese Erlebnisse nur mit denen, die tatsächlich dabei waren und sollte man selbst einmal verhindert gewesen sein, hatte man halt einfach etwas verpasst. Und davor musste man auch keine Angst haben. NO FOMO! Kein Tanzen auf hundert Hochzeiten gleichzeitig, kein Speichern für später. Alles simple Abläufe, die von unseren Gehirnen leicht zu verstehen und vor allem auch zu verarbeiten waren.

Von leicht kann heute allerdings keine Rede mehr sein. Wenn ich an manchen Tagen durch meinen Instagram-Feed scrolle, weiß ich immer öfter gar nicht mehr, wonach ich eigentlich suche. Denn ganz ehrlich? Irgendwie scheinen immer alle entweder das Gleiche zu posten oder ich kommentieren mittlerweile fast jeden Beitrag innerlich mit einem "langweilig", "noch langweiliger", "schon tausend Mal gesehen" *gähn*. Denn da ist dann wieder, nennen wir sie Steffi, die am frühen Morgen schon fünf Liter ihres Wunder-Shakes intus hat und totaaal gut drauf ist. Patrick, der gerade im Zug sitzt und sich ausnahmsweise mal wieder Zeit für eine Fragerunde nimmt. Lara, die auf Grund der unzähligen Nachfragen noch schnell einen Rabattcode besorgt hat und Simone, die - für mehr Realität auf Instagram - ab sofort auch die unaufgeräumten Ecken und den ständig wachsenden Wäscheberg postet. Und alles nur für die Jagd nach Likes, Herzchen oder Followern und das alles in einer möglichst hohen Frequenz, so dass die eigenen Beiträge auch ja nicht irgendwo in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Aber wie all' dem entfliehen? Einfach auf das Kreuzchen klicken und auf nimmer Wiedersehen? Letztens habe ich irgendwo gelesen, dass eine App zu löschen so ähnlich sei, wie nur am Wochenende zu trinken oder generell keinen Alkohol im Haus zu haben. Der Versuch, etwas zu kontrollieren, was man offensichtlich nicht mehr anders beherrschen kann. Und dabei ist der Vergleich mit einem Suchtmittel leider überhaupt nicht weit hergeholt. Das ganze System ist einzig und allein darauf ausgelegt, uns so einzulullen, dass wir auch wirklich zum elfmillionsten Mal am Tag nachschauen, ob wir nicht vielleicht doch irgendetwas verpasst haben könnten.

Also besser durch Abwesenheit glänzen? Bzw. darf man überhaupt einfach so abwesend sein oder besteht dann sofort die Gefahr, auch im wirklichen Leben einfach in Vergessenheit zu geraten? Wollen wir wirklich das Leben da draußen nur noch durch diese etwas mehr als zigarettenschachtelgroße Öffnung betrachten und permanent checken, was Millionen anderer Menschen gerade machen, sehen, kaufen, essen oder besser wissen? Vielleicht denke ich auch einfach zu viel über all' das nach und vielleicht lachen wir auch in ein paar Jahren darüber, dass es mittlerweile kleine Boxen gibt, die mit einem Zeitschloss versehen sind, damit das eigene Handy nur noch zu bestimmten Uhrzeiten und vor allem für begrenzte Zeiträume freigeschaltet werden kann. Kein Scherz!

Ich für meinen Teil würde mir auf jeden Fall wünschen, dass wir alle wieder etwas mehr im echten Leben ankommen bzw. anwesend sind. Mehr eigene Gedanken und Meinungen, statt immer alles vorgekaut zu bekommen. Mehr Komplimente und Umarmungen statt im Autopilot-Modus auf irgendwelche Daumen und Herzchen zu klicken. Und ganz wichtig: Mehr tanzen, weniger am Handy rumfummeln und vor allem auch klug mit der eigenen Aufmerksamkeit haushalten, denn die ist nicht für jeden! Oder?

#bereal